Die drei Farben der Reichsfahne, schwarz-weiß-rot.
Quelle: Eigene Zeichnung

Reichsflaggen wehen wieder in Berlin, der feuchte Traum eines jeden Neonazis. Am 29. August 2020 wurde er wahr. Die Gruppe Querdenken hatte eine Demo organisiert, bei der Demonstranten auf die Reichstagstreppe stürmten und die Fahnen schwenkten. Auch bei der Querdenken-Demo in Weiden sollen die Flaggen erlaubt sein, obwohl andere Städte und Bundesländer sie bereits verboten haben.

Mit den Bildern vom Reichstag haben die rechtsradikalen Proteste einen Coup gelandet, sagt der Politikwissenschaftler Jens Hacke im Deutschlandfunk. An ihnen wird sich die rechte Szene wohl noch lange berauschen, eingebrannt im kollektiven Gedächtnis. Denn die Reichsflagge hat eine lange Geschichte, die immer wieder auf Nationalismus, Kolonialismus und Faschismus verweist.

Erkennungszeichen der Neonaziszene

Schwarz-weiß-rot sind die Farben des deutschen Kaiserreichs, in der Weimarer Republik wurden sie durch schwarz-rot-gelb ersetzt. In der Nazizeit kam die kaiserliche Farbkombo wieder zurück. Bereits wenige Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Reichflagge wieder offiziell gehisst, neben der Hakenkreuzflagge. Zur Geschichte unter anderem hier.
Seitdem gilt die Reichsflagge als Erkennungszeichen der Neonaziszene – auch weil die Hakenkreuzflagge heute verboten ist, die Reichsflagge nicht. Wenn es nicht verboten ist, wo ist das Problem? Wer sie trägt, sollte wissen, was er tut – und darf sich nicht beschweren, mit Rechtsradikalen gleichgesetzt zu werden, wie Paul Gräber in einem Gastbeitrag des Volksverpetzer betont.

Stadt kann Flaggen verbieten

Immer mehr Bundesländer verbieten die Reichsfahnen nach den Vorkommnissen in Berlin, wie Bremen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. In Bayern hat Söder ein Verbot angekündigt. Auch Städte können unabhängig vom Landesrecht die Flagge bei Veranstaltungen verbieten, so geschehen etwa in Konstanz (Baden-Württemberg). Bei der Demo am 3. Oktober mit dem (gescheiterten) Ziel einer Menschenkette rund um den Bodensee, zu der auch wieder die Weidener Gruppe Friedenshelden mobilisierte, verbot die Stadt “Reichsflaggen, Kaiserreichsflaggen und Zeichen, die einen deutlichen Bezug zur Zeit oder zu den Verbrechen des Nationalsozialismus herstellen und eine Verbindung zu der aktuellen Corona-Pandemie herstellen”.

Die Reichsflagge hat eine lange Geschichte. Wer sie trägt, sollte wissen, was er tut – und darf sich nicht beschweren, mit Rechtsradikalen gleichgesetzt zu werden.

Paul Gäbler in: Der Volksverpetzer

Die Stadt Weiden will diesen Schritt bei der geplanten Querdenken-Demo am 24. Oktober nicht gehen, wie sie auf Anfrage von “Hinterlandrauschen” angab. Auf die Frage ob Weiden Reichsflaggen oder Reichskriegsflaggen bei der Demo verbieten will, antwortete die Pressestelle: “Das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unterliegt den zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltenden strafrechtlichen Bestimmungen.” Auch wenn die Antwort nicht ganz der Frage entsprach, da die Reichsflagge kein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation ist, deutet das stark daraufhin, dass Weiden die Reichsflaggen erlauben wird, wenn sie noch nicht bayernweit verboten ist.

Dass der Veranstalter selbst diese Flaggen verbietet, ist ausgeschlossen. “Ich werde niemanden verbieten, eine deutsche Fahne zu schwenken, die gesetzlich nicht verboten ist”, sagt Helmut Bauer auf Onetz, als er auf die Reichsfahne angesprochen wird. Das Symbol der Rechtsradikalen will er also erlauben. SPD- oder CSU-Plakate dulde er jedoch nicht, betont er weiter auf Onetz.

Symbole stiften Identität

Die Szene um die Coronarebellen scheint eine ausgeprägte Empathie für Flaggen zu haben, wie eine Bildergalerie des RBB zeigt. Auf den Demos in Berlin wedelten die Teilnehmer auch noch mit historische Flaggen des Königreichs Preußen oder Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, Länderflaggen von USA und Russland oder auch Regenbogenflaggen der LGBTQ-Bewegung.

Flaggen sind symbolmächtige Objekte, sie stiften Identität – und das ist das, was viele der Unzufriedenen, der Wutbürger von heute am meisten benötigen. In der postmodernen Gesellschaft sind wir aus dem Korsett von vorgegebenen Rollen, Normen und Lebensentwürfen befreit. Kein Gott, kein König befiehlt mehr, was zu tun ist. Doch wenn die Sicherheitskoordinaten fehlen, wenn niemand vorgibt, was zu denken und zu tun ist, dann machen sich neue Unsicherheiten breit. Zur Freiheit verdammt sind wir.

Die verdammte Freiheit

Der postmoderne Mensch kann ertragen, dass es kein eindeutiges Gut/Böse oder Richtig/Falsch gibt, den “Eindeutigskeitszwang” überwinden und sich in immer neue Unsicherheiten reinbegeben.
Doch die verdammte Freiheit überfordert viele. Mit den Reichsfahnen leben auch alte Werte, alte Feindbilder wieder auf. Dank ihnen kann der Mensch ganz einfach wieder Eigenes und Fremdes unterschieden: Das patriotische, vaterländische “Wir”, das das Fremde, Nichtdeutsche ausgrenzt.

Diejenigen, die die Reichsfahne schwenken, tragen ein Symbol der rechtsradikalen Szene vor sich her. Und diejenigen, die auf diesen Demos mitlaufen, unterstützen sie dabei.