Die Botschaft kommt an. Keiner der Kreuzfahrt-Tourist*innen winken wie sonst, wenn sie durch das historische Zentrum von Venedig fahren. Eine Demo mit “No”-Flaggen, Mittelfingern und Bengalos empfängt am 5. Juni 2021 das erste Kreuzfahrtschiff nach dem Coronalockdown. Fotocredit: Lucia Schreyer

Noch liegt die Lagune ganz ruhig da. Einige kleine Boote treiben durch den Kanal von Guidecca in der historischen Altstadt von Venedig, lustig flattern Flaggen, auf denen “No Grandi Navi” (“Keine großen Schiffe”) steht. Plötzlich verdunkelt sich der Horizont und eines dieser “grandi navi” taucht auf. Das Kruezfahrtschiff “MSC Orchestra” scheint hundertmal größer als die alten Paläste in der Altstadt, die sonst so imposant sind und auf einmal so mickrig.

“Siete troppo grandi per la nostra cittá!”, ruft ein Mann ins Mikrophon: “Ihr seid viel zu groß für unsere Stadt!” Hunderte Menschen stehen am Ufer und demonstrieren gegen die erste Durchfahrt eines Kreuzfahrtschiffes durch Venedig seit dem Corona-Lockdown. 17 Monate blieb die Stadt verschont.

Normalweise winken die Touristen an Bord, erzählt mir eine Freundin. Diesmal tut das keiner. Die Demonstrierenden strecken ihnen die “No”-Flaggen und übergroße Mittelfinger entgegen, zünden Bengalos. Ob die Menschen auf der Reling den Protest verstehen, ob da etwas ankommt? Sie sind zu weit weg, um ihnen in die Köpfe zu schauen.

Am Horizont ist schon das Schiff zu sehen. Fotocredit: Lucia Schreyer


Bei einem Apertifo später erzählen mir zwei Venezianer, dass die Kreuzfahrttouristen auch deshalb unbeliebt sind, weil sie kein Geld in die Stadt bringen. Auf ihrem fünfstündigen Landgang verstopfen sie Gassen und Brücken, essen und konsumieren aber an Bord. Die einzigen, die verdienen würden, seien die Taxiboote, die die Massen vom Schiff an Land fahren.
Sie zeigen mir Bilder von den Unfällen mit Kreuzfahrtschiffen der vergangenen Jahre. Im Juni 2019 krachte die “MSC Opera” in eine Anlegestelle und ein Touristenschiff im Kanal von Guidecca. Wenige Monate später rammte die “Costa Deliziosa” bei schwerem Unwetter beinahe mehrere Boote. Ins kollektive Gedächtnis tief eingebrannt hat sich auch die “Costa Concordia”, die 2012 im Mittelmeer mit einem Felsen kollidierte und kippte. 32 Menschen starben, der Kapitän hatte als erster das sinkende Schiff verlassen.

Wir empfangen das Schiff mit “No”-Flaggen und Mittelfingern.

Wir orakeln bei Weißwein, welche Auswirkungen die Klimakatastrophe in ein paar Jahren auf die Stadt haben wird. Einige Stadtteile werden abgesperrt sein, weil die Straßen dauerhaft überschwemmt und die Gebäude einsturzgefährdet sind. Irgendwann wird man dort nicht mehr wohnen können. Die Stadt wird im Wasser versinken. Noch mehr Platz für die Grandi Navi. Diese Hochhäuser der Meere werden ewig um die noble Stadt kreisen und nur noch die Touristen an Bord werden Zeuge davon sein, wie sie langsam untergeht.

Wer verlässt Venedig als erstes, wenn es sinkt? Wohl nicht die Arbeiter*innen und Studierenden, die die Stadt lebendig halten, sondern diejenigen, die nicht mehr vom Massentourismus profitieren können.