Joshi und ich besuchen das Futurium, Instafilter im Großformat. Bild: Beate Luber

Von Beate-Josefine Luber

Statt sich in Clubs oder Kneipen abzudichten, gehen mein guter Freund Joshi und ich bei meinen Berlin-Besuch jetzt immer Kunst anschauen. Ich finde das gut. Alkohol und andere Drogen vertrage ich eh nicht so gut. “Dann gehen wir aber endlich mal ins Futurium”, sagt Joshi. Seit zwei Jahren sagt er das. Ich schaue ihn von der Seite an. Warum interessiert sich der Typ für die Zukunft? Joshi, der seit 2 Jahren ein Smartphone hat, und nur, weil er eins mit Displaybruch zu Silvester in der U-Bahn gefunden hat. Joshi, dessen Zukunftspläne meistens zum nächsten Urlaub im Sommer reichen. Der mich immer lehrt, dass es in der Gegenwart doch am schönsten ist und mit dem die Gegenwart auch meist am schönsten ist.

Das tote Herz von Berlin

Jetzt also Futurium, na gut. Wir fahren von Neukölln zum Hauptbahnhof. Die Fläche hinter dem Bahnhof, die jahrelang Brache war, ist vollgepflastert mit Hochhäusern und Bürobauten. Es sieht unterträglich hässlich aus, und ästhetisch steigert sich das auch nicht mehr. Stahl-Beton-Ungetüme säumen unseren Weg.

Irgendwann war Mitte mal schön. Früher, als der alte Tränenpalast in der Friedrichsstraße stand, das Tacheles in der Oranienburger Straße, und der Palast der Republik in Unter den Linden. Das alles hab ich noch gesehen, als ich nach Berlin zog, damals 2003. Da war Mitte noch lebendig. In einer Seitenstraße der Friedrichsstraße saßen Anwohner*innen auf Couchen auf dem Bürgersteig und tranken Kaffee. Jetzt lebt dort nix mehr, nur noch Beton. Mitte hat sich in das tote Herz Berlins verwandelt.

Doch gut, ich möchte mich nicht länger einreihen in die endlose Tirade der Berlin-Nostalgiker. Anschnallen, jetzt geht’s in die Zukunft! Unser Weg dorthin führt vorbei an “Design Offices Berlin” und “Pricewaterhouse Coopers”, wir vollführen Kotzgeräusche. Und dann ist sie da, die Zukunft, das Futurium – ein Museum für “offene Fragen der Zukunft”, eröffnet 2019. Es ist etwas schwer zu erkennen. Die Glasfassade verschwimmt mit dem Grau des Himmels. Wir jubeln trotzdem. Das haben wir von unseren Clubnächten gelernt. Wenn’s scheiße ist, erstmal jubeln.

“Die Zukunft verwirrt mich jetzt schon”

Joshi raucht noch aus, und ich verliere mich im Bodenmuster: Weiße Kreise auf grauem Beton. Wir gehen rein, kein Eintritt. Großer Pluspunkt!

Wir wenden wieder unsere Taktik des künstlichen Stimmungsmachens ans, rufen “Ahh” und “Ohh” und flüstern “Future”. Okay, erstmal Jacken einschließen, dann kurze Desorientierung. Wo geht’s hin? Wir sehen viele Schilder: Lab, Forum 1, Forum 11. “Die Zukunft verwirrt mich jetzt schon”, sagt Joshi. Doch bevor wir uns wimmernd und verwirrt in einer Ecke verstecken, entdecke ich den erlösenden Pfeil “Ausstellung”. Wir folgen einem für uns vorherbestimmten Pfad und sind froh darüber.

Die Ausstellung in einer Zeit vor Corona. Jetzt trugen natürlich alle Masken und 2G. Bild: Jan Windszus/futurium.de

Wir erreichen den 1. Stock, sehen eine riesige Holzskulptur in der Mitte eines Raumes mit großer Glasfront mit direktem Blick auf noch mehr Beton und Herrschaftsarchitektur, Kanzleramt, Abgeordnetenhaus – und ich hab jetzt schon keinen Bock mehr. Nennt mich voreingenommen, stur und überempfindlich, aber als ich den Ausblick gesehen habe, habe ich gewusst: Das wird nichts. Hier gibt es nichts Spannendes für mich.

Zukunft = Gegenwart + x

Okay, ich gebe der Ausstellung noch eine winzige Chance. Doch als ich die textlastigen Exponate sehe, habe ich schon wieder keine Lust mehr. Es geht um Insekten, künstliche Organen und Stadtplanung. Ich verstehe alles nicht so genau und erst später wird mir klar, worauf dieses angeödete Unverständnis basiert. Nirgendwo wird sichtbar, auf welchen Thesen diese Zukunftsbilder basieren. Sind es mögliche Entwicklungspfade, die nach dem Stand der Wissenschaft extrapoliert wurden? Sind es Wunschbilder – und wenn ja, von wem? Sind es Wahrscheinlichkeiten – und wenn ja, wie hoch? Nirgendwo wird die philosophische Frage reflektiert, dass unser Bild von der Zukunft ausschließlich auf der Vergangenheit und Gegenwart beruht. Es weiß doch keiner, was passiert. Die Erde könnte in in der nächsten Sekunde weg sein, Meteoriteneinschlag, was weiß ich. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie das Universum hergibt: unendlich viele.

Wie wir denken, dass die Zukunft aussehen wird, ist Resultat unseres gegenwärtiges Wissensstandes, unserer Wünsche, Ängste, Hoffnungen. Unser Bild von der Zukunft sagt nichts über die Zukunft aus, rein gar nichts. Das alles ist kein Thema in der Ausstellung.

Grün predigen, Beton trinken. Der “Green New Deal” im Außenbereich des Futuriums. Bild: David von Becker/futurium.de (Ausschnitt)

Was mich auch verstört: Die fehlende Vorbildwirkung. Rein energietechnisch scheint das Gebäude noch aus den Good-Old-Days der industriellen Revolution zu stammen, als man dachte, es seien noch unbegrenzt Ressourcen auf Erden vorhanden. Die Zukunftsbilder, die das Museum präsentiert: Grüne Stadt, keine Autos, überall Radfahrer und entrückt grinsende Menschen, Bäume, die an Gebäuden wachsen. Vor dem Futurium verdorren drei Grashalme in der Betonwüste.

Wie “Zurück in die Zukunft 2”

Die Museumsarbeiter*innen haben übrigens Westen mit LED-Lichtern an, wo “Ask me” draufblinkt. Damit sollen sie vielleicht so futuremäßig aussehen, wirken aber eher wie Darsteller von “Zurück in die Zukunft 2” oder Gäste auf einer 90er-Techno-Party.

Nicht im Bild: Die Mitarbeiterin, die daneben steht, und das Robotersprech in menschliche interaktive Sprache übersetzt. Bild: David von Becker/futurium.de

Achja und es gibt auch einen Roboter, der als Portier hinter einem Tresen steht und irgendwas redet. Keiner versteht was, weil er ohne Punkt und Komma immer denselben Text runterspult. Daneben steht eine Mitarbeiterin und erklärt das alles nochmal. Diesmal verstehen wir es.

Ich spiele Vier-gewinnt mit einem Roboterarm und verliere dreimal hintereinander. Ist das die viel beschworene künstliche Intelligenz? Joshi spielt einmal und es endet unentschieden. Sollte mir wohl eher über meine natürliche Intelligenz Gedanken machen.

Der Computerarm, gegen den ich mehrmals im Vier-gewinnt verloren habe. Grrr. Bild: Ali Ghandtschi/futurium.de

Nun kommt ein wichtiger Insidertipp: Sagt niemals “Ja” zu einer Umfrage im Futurium. Ich gehe durchschnittlich ein- bis zweimal im Monat in ein Museum, aber noch nie wurde ich dort gebeten, an einer Umfrage teilzunehmen. Weil mich die Ausstellung eh nicht interessiert, sage ich zu. 20 Minuten muss ich Fragen beantworten. Nur mein lähmendes Hungergefühl und niedriger Kreislauf hinderten mich daran, schreiend davonzulaufen. Dafür vergebe ich immer schlechtere Punkte.

Das Robotertheater

Als es vorbei ist, atme ich tief aus und bettele Joshi an, sofort zu verschwinden. Doch er will unbedingt noch zum “Robotertheater”. Na gut, vielleicht reißt es das wieder raus. Nein: Drei Plastikdinger mit Augen, aus denen Stimmen rauskommen. Jedes Kasperltheater ist schöner gestaltet.

Lichter in eine dunkle Wand eingelassen, mit Spiegeln. Soll irgendwie Datenbits symbolisieren oder so. Pures Instagold auf jeden Fall. Bild: Ali Ghandtschi/futurium.de

Wir gehen noch ins “Future Lab”. Es ist ganz lustig, aber ich verstehe auch da das Konzept nicht. In einem Wahlkabine kann man seine politischen Präferenzen bestimmen, indem man in eine Kamera reingrinst. Dann rechnet die irgendwas. Bei mir zeigt es 37% CDU an, bei Joshi 32% SPD. Häh? Verraten meine Gesichtszüge trotz Kirchenaustritt und antikonservativer Werthaltung immer noch ihre bayerischen-katholischen Wurzeln? Ist mein Gesicht heimlicher CDU-Wähler? Oder ist das einfach völliger Blödsinn?

Instagoldgrube

Beim Rausgehen entdecken wir noch eine Kamera mit lustiger Filterfunktion. Wenigstens für Insta springt bisschen Content raus.

Goil. mehr Instagold. Bild: Beate Luber

Endlich im Augenblick

Später gehen wir noch in den Gropius-Bau. Im Lichthof ist eine Soundinstallation, auch gratis für alle. Wir lassen uns nieder auf gemütlichen Sitzblöcken, bespannt mit Stoffen, die von nigerianischen Grafikdesigner*innen und Weber*innen entworfen wurden. Wir entspannen uns, legen unsere Rücksäcke und Jacken ab. In der Mitte ein 9 Meter hoher Baum, auch bespannt mit bunten Stoffen. Wir schauen um, reden nicht viel. Zur vollen Stunde tönt aus 12 Lautsprechern ein Chor, der traditionelle Lieder der Igbo singt, einer Ethnie aus Nigeria. Ich schließe die Augen, atme, lausche den wunderschönen Gesängen, bin ganz da. So soll meine Zukunft sein.

Emeka Ogboh, Ámà: The Gathering Place, Installationsansicht, Gropius Bau, Berlin, 20.10.2021–16.1.2022.
Bild: Luca Girardini