Freier Journalismus aus der Oberpfalz

Autor: webgo-admin (Seite 2 von 3)

Wie Weiden auf rechte Veranstaltungen reagieren kann – und es nicht tut

Ein absurdes Bild für die einen, ein Symbol des Triumphes für die anderen: Die Querdenker, die Masken verweigern und die Krankheit Covid-19 anzweifeln, überhängen das Testcenter-Plakat während der Demo am 24. Oktober. Ob andere Kommunen das zugelassen hätten?

Viele Städte machen vor, wie eine Kommune auf Veranstaltungen von Querdenken oder der AfD reagieren kann – mit Gesetzen, Auflagen und Spenden. Weiden/Oberpfalz schöpft seine Mittel nicht aus – und zieht so immer mehr rechte Agitatoren in die Stadt.

Weiden am 24. Oktober 2020. Der Inzidenzwert hat die 100-er-Marke weit überschritten. “Mein Ziel ist es, das Infektionsgeschehen in Weiden jetzt einzudämmen”, lässt Weidens Oberbürgermeister Jens Meyer per Pressemitteilung verkünden. Dieser fromme Wunsch hat sich jedoch anscheinend nicht bis zum Ordnungsamt durchgesprochen. Denn etwa in derselben Geschwindigkeit, in der die Menschen sich mit dem Virus infizieren, melden die Querdenker immer neue Veranstaltungen an: Autocorso, Kundgebung, Fackelmarsch, Menschenkette – und kommen damit wohl ungehindert durch. “Es war ein konstruktives gut verlaufendes Gespräch”, berichtet Querdenken-Organisator Helmut Bauer zufrieden über das Kooperationsgespräch mit der Stadt am 16. Oktober.

Anderen Leuten und Organisationen wird es da schwerer gemacht. Herbert Schmid von Arbeit und Leben Weiden bestätigt gegenüber “Hinterlandrauschen”, er habe Anfang Oktober beim Ordnungsamt nachgefragt, ob eine Gegendemo in der Altstadt am 24. Oktober möglich wäre. Dort habe man ihm geantwortet, die gesamte Innenstadt sei Tabuzone an diesem Tag. Tatsächlich geschah am 24. Oktober dann folgendes: Dutzende Querdenker halten direkt im Herzen der Altstadt abends eine große Kundgebung ab, ohne Abstand und Maske, wie Endstation Rechts dokumentiert hat.

Ein Verbot einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ist zum Glück sehr schwer, das garantiert das Grundgesetz. Doch jede Kommune hat die Möglichkeit, Auflagen zu erlassen, um Versammlungen beispielsweise sicherer machen – was bei einem Pandemie-Geschehen doch angebracht ist.

Was Weiden hätte tun können – und nicht getan hat:

  • 1. Den Fackelzug nicht am Klinikum vorbeiziehen lassen: Der Leserbrief einer Krankenschwester am Weidener Klinikum bringt die Kritik auf den Punkt. Die Coronaleugner-Demo direkt am Krankenhaus vorbeiziehen zu lassen ist für sie der “blanke Hohn”. Eine Demoroute umleiten ist kein großes Ding. Die Versammlungsbehörde hätte hier mehr Respekt gegenüber Kranken und Sterbenden zeigen können. Auch Fackeln oder das laute Trommeln hätte man verbieten können.
  • 2. Masken- und Abstandspflicht vorschreiben: Leute umarmen sich sogar auf der Bühne (wie Helmut Bauer und Sonja Schuhmacher), Maske tragen fast nur Journalist*innen und Demobeobachter. Das war das übliche Bild am 24.Oktober auf der Querdenken-Demo. Um das zu verhindern, hätte Weiden wie Mainz reagieren können, das auf “Auflagen wie Maskenpflicht und feste Abstände zwischen den Teilnehmern bestanden und angekündigt [hat], diese auch konsequent zu kontrollieren”, wie der SWR mitteilt. Die Veranstalter haben daraufhin die geplante Demo selbst abgesagt. Kaiserslautern hat die Veranstaltung sogar verboten, aus Sicherheitsgründen.
  • 3. Pressevertreter schützen: Während die Veranstaltungsteilnehmer den gesamten Festplatz einnahmen, drängte sich die Polizei meistens am Rand zum Eingang der Veranstaltung. Eine größere Präsenz hätte vielleicht verhindert, dass abermals Journalist*innen angegriffen werden. In diesem Fall wurde laut Onetz.de ein Journalist bespuckt. Ein kleiner Gegenprotest mit 10 Leuten wurde abseits der Veranstaltung demgegenüber regelrecht umringt von Polizeiwagen.

Eine Anfrage von “Hinterlandrauschen” an die Pressestelle der Stadt, welche Auflagen die Querdenken-Demo hatte und ob diese beim Überschreiten des Inzidenzwertes über 100 nochmal angepasst wurden, blieb bis heute unbeantwortet.

Der kleine Gegenprotest “Bierrausch statt Gehirnwäsche” mit etwa 10 Teilnehmern ist umringt von Polizeiwagen.

Querdenker planen fleißig ungehindert weiter

Das sind nur drei Mittel, mit denen die Kommune auf diese Veranstaltungen reagieren kann. Das hat sie nicht getan. Die Querdenker in Weiden und Umgebung planen deshalb fleißig weiter Autocorsos, Stände, Demos. Teilnehmer*innen aus dem rechten Milieu sind an der Tagesordnung und werden so immer wieder in die Stadt gezogen.

Und das, nachdem aus diesem Umfeld mehrmals Journalist*innen angegriffen wurden und Morddrohungen gegen Neustadts Bürgermeister Sebastian Dippold ausgesprochen wurden. “Der Staatsschutz war nach der Morddrohung bei mir und hat mir gesagt, man müsse den Grad der Radikalisierung dieser Szene in Weiden durchaus ernst nehmen”, sagt Dippold in einem Interview mit der TAZ. Es wirkt nicht so, als würde die Stadt Weiden diese Radikalisierung ernst nehmen.

Würzburg spendet Einnahmen aus AfD-Bürgerdialog

Ein weiteres Beispiel zur Inspiration für die Stadt Weiden: Der “AfD-Bürgerdialog Corona” tourte Ende September durch Bayern, und machte auch Halt in Würzburg und Weiden. Die Stadt Würzburg hat die Einnahmen aus der Vermietung der Stadthalle an die lokale Flüchtlingshilfe gespendet – auf Initiative des CSU-Bürgermeisters Christian Schuchardt. Weidens SPD-Bürgermeister Jens Meyer machte das nicht zum Thema.

Die Gegendemonstration fand in Würzburg, wie im bayerischen Versammlungsgesetz geregelt, unmittelbar vor dem Eingang in Sicht- und Hörweite statt, direkt vor der Stadthalle. In Weiden wurde die Gegendemo etwa 100 Meter weg auf die andere Straßenseite verlegt. Das hat gewirkt: “Ich habe die Gegendemo gar nicht gesehen”, lobte ein Redner beim AfD-Bürgerdialog in der Weidener Max-Reger-Halle.

Eine Frage des politischen Willens

Weiden scheint ein willkommenes Pflaster zu sein für Veranstaltungen von AfD und Querdenkern. Das ist keine Verwaltungsentscheidung, dahinter steht ein politischer Wille – oder zumindest Unwille, daran etwas zu ändern. Diese Entscheidung spiegelt wider, wie die Stadt sich auch in Zukunft gegen Rechts positioniert – gerade auch für den Bundestagswahlkampf 2021.

Populärer Hashtag gegen rechte Hetze und Querdenker: #wirzeigenmaske

Schon mehr als 100 Leute haben auf Instagram Selfies von sich mit Maske gepostet. Sie protestieren unter dem Hashtag “wirzeigenmaske” gegen die Querdenken-Bewegung. Bild: OBTM Weiden-Neustadt

Auf den Instagram-Profilen von vielen Leuten aus Weiden und der Region macht zur Zeit ein Hashtag die Runde: #wirzeigenmaske. Er ist Teil einer Protestbewegung aus der Region gegen die Querdenken-Demo am 24. Oktober. Immanuella Leo, 18 Jahre, hat das Projekt mit gestartet. Die FOS-Schülerin aus Vohenstrauß erzählt, was es damit auf sich hat.

Du bist aktiv bei dem neu gegründeten Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte (OBTM) Weiden-Neustadt. Warum?
Immanuella Leo: Weil ich es als sehr wichtig empfinde, Themen aus Politik, sozialer Arbeit und Weltgeschehen jungen Leute näher zu bringen. Und ich will natürlich das Aus für rechte Hetze in der Stadt.

Wo siehst du rechte Hetze in der Stadt?
Immanuella Leo: Da fangen wir in den Schulen an, in den Klassen gibt es keine Diskussionen mehr. Schüler können keine Kritik mehr an der AfD äußern, weil sie dann als Antidemokraten abgestempelt werden. Es gibt auch immer mehr Leute, die Beiträge von rechten Gruppen in Klassenchats oder in sozialen Medien teilen. Das Problem ist, wenn die rechte Szene immer mehr wächst, trauen sich immer mehr Jugendliche, sowas zu posten. Die glauben alles, was rechte Medien auf den Tisch bringen.

Immanuella Leo, 18 Jahre, engagiert sich gegen rechte Hetze in Weiden und Umgebung. In der Schule, sagt sie, ist das zu wenig Thema. Bild: privat

Was sind das zum Beispiel für Themen, die geteilt werden?
Immanuella Leo:
Ganz viel über die Flüchtlingssituation. Da fallen dann zum Beispiel Kommentare wie: “Wir brauchen die hier nicht. Die sollen zurück.”

Kannst du dich in diesem Fall auch an die Lehrer wenden?
Immanuella Leo:
Das Problem ist, dass die Lehrer sich nicht einmischen. Die fühlen sich gezwungen, neutral zu bleiben. Die meisten vertreten keine Position zu irgendwas. Es kommt keine Hilfe von Lehrern, um die Leute zu schützen und zu verteidigen, die wortwörtlich verrecken.

Und wie willst du darauf einwirken mit dem Bündnis OBTM?
Immanuella Leo:
Klara Werner und ich sind ja die Admins für die Instagramseite “obtm.weiden”. Wir hoffen, viele Jugendlichen anzuziehen, weil wir auch viel Reichweite haben. Wenn Ältere etwas zu uns Jugendlichen sagen, denkt man halt immer so: Jaja. Aber wir Jugendlichen sind auf einer Ebene. Wir wollen mehr Reichweite durch unser gemeinsames Alter und und durch unsere Worte.

Wie klappt das bisher?
Immanuella Leo:
Das klappt sehr gut. Auf unserer Instagramseite “obtm.weiden” haben wir bereits 500 Abonnenten, und das in noch nicht einmal einem Monat. Das ist ziemlich viel. Auch durch unsere Aktion “#wirzeigenmaske” haben wir ganz ganz viele Jugendliche erreicht, aber auch Ältere, sogar Unternehmen und Bars. Knapp 100 Leute haben Fotos von sich mit Maske an uns geschickt.

Das Problem ist, dass die Lehrer sich nicht einmischen. Die fühlen sich gezwungen, neutral zu bleiben. Die meisten vertreten keine Position zu irgendwas.

Immanuella leo, OBTM Weiden-Neustadt

Was plant ihr gegen die “Querdenken”-Demo am 24. Oktober?
Immanuella Leo:
Wir haben ja unseren Protest ins Netz verlagert. Wir wollen weiterhin Redebeiträge posten. Wir wollen auch noch weiter Leute aufrufen, uns Videos zuzuschicken. Auch wenn ihr nicht im Bündnis seid, könnt ihr uns über Instagram oder Facebook Videos schicken und von euren Geschichten und euren Sorgen erzählen.

Was ist denn in Zukunft von euch zu erwarten?
Immanuella Leo:
Wir wollen weiter auf das Coronathema eingehen, weil das einfach sehr aktuell ist. Wir wollen auch noch weiter über die Querdenken-Bewegung und die rechte Hetze dahinter aufklären. In Zukunft wollen wir aber auch auf andere Themen eingehen, wie die Situation im Flüchtlingslager auf Moria, weil wir über solche Themen in den Schulen viel zu wenig reden.

“Bierrausch statt Gehirnwäsche”: MIt Dosenbier gegen Querdenker in Weiden

Süffig und infektionssicher ist der Protest, den Carolin Schiml gegen die Querdenken-Demo am 24. Oktober angemeldet hat. Davon erzählt sie, bei einem Bier natürlich.

Zum Pressegespräch gibt es noch Bier aus Flaschen. Bei der Bierrausch-Demo gegen die Querdenker am 24. Oktober kommt dann Dosenbier als Protestform zum Einsatz.

Die Demo, die du angemeldet hast, heißt “Bierrausch statt Gehirnwäsche – für bayerisches Brauchtum”. Was hat es damit auf sich?

Caro Schiml: Ich denke, man hat den ganzen Maskenverweigerern ins Hirn geschissen. Denen würde ein ordentlicher Bierrausch ganz gut tun. Mit der Bierrausch-Demo pflegen wir die bayerische Mentalität: Chillen, abwarten und pragmatisch handeln, und sich vor allem nicht in irgendeine Verschwörungshysterie reinsteigern.

Du verteidigst die bayerischen Werte gegen die Weidener Querdenker? Der Veranstalter der Weidener Querdenken-Demo Helmut Bauer ist ja selbst nur in Tracht zu sehen und inszeniert sich als strammer Bayer.

Caro Schiml: Helmut Bauer ist eine Karikatur seiner selbst. Der sieht aus wie eine Figur aus dem königlich-bayerischen Amtsgericht. Er inszeniert sich gern selbst und grantelt rum, das bringt uns als Gesellschaft aber nicht weiter.

Auch auf der Querdenken-Weiden-Seite zeigt sich Helmut Bauer wie immer in Tracht.
Screenshot: https://querdenken-961.de/

Aber Rumgranteln ist doch auch typisch bayrisch oder?

Caro Schiml: Das eine ist, mich am Stammtisch drüber auszulassen, was ich denke. Wenn ich jedoch meine Gehirnverdrehungsanfälle ernst nehme und daraus eine politische Bewegung schaffe, dann zeugt das eindeutig von Selbstüberschätzung.

Wie sieht deine Protestform genau aus?

Caro Schiml: Wir treffen am Wendekreis beim Neuen Festplatz. Es kommt eine Palette Dosenbier in die Mitte, die ich vorher sorgfältig desinfiziere. Jede*r steht in einem Bannkreis von 1,5 Metern Radius, den wir vorher mit Kreide markieren – oder leeren Bierdosen, falls es regnet. Um ein Dosenbier zu holen, muss man sich natürlich die Maske aufsetzen. Dann gehen alle in ihren Kreis zurück und machen Fernprost. Leute aus demselben Haushalt können sich natürlich auch zusammenstellen.

Ich denke, man hat den ganzen Maskenverweigerern ins Hirn geschissen. Denen würde ein ordentlicher Bierrausch ganz gut tun.

Carolin Schiml

Und inwiefern protestieren die Leute dann?

Caro Schiml: Wir besinnen uns auf die einfachen Dinge des Lebens, trinken Dosenbier und unterhalten uns ganz normal. Dosenbier ist auch im Sinne der Völkerverständigung, weil das kann jeder trinken. Die Kritiker beklagen, dass alles verboten ist. Wir machen trotzdem, was uns gefällt. Wir müssen uns ja nicht einschränken lassen, die Einschränkungen beginnen im Kopf.

Saufen für den Frieden also?

Caro Schiml: Warum nicht.

Prost?

Caro Schiml: Prost.

Querdenker wollen Menschenkette in Weiden und Klagen – Grosses Bündnis plant Gegenproteste

Analog und digital gegen Rechts: Hans Lauterbach, Imanuelle Leo, Hilde Lindner-Hausner, Klara Werner (von links, wo sonst) vom neu gegründeten Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte (OBTM) Weiden-Neustadt planen Proteste gegen die Querdenken-Demo.

Die Coronazahlen steigen in Weiden, die Querdenken-Demo am 24. Oktober rückt näher. Während die Querdenker die nächste Verschwörung vermuten, eine Menschenkette um die Altstadt planen und gegen Coronaauflagen klagen wollen, werden die Gegenproteste immer kreativer und vor allem mehr.

Sechs Demonstrationen sind in Weiden mittlerweile für den 24. Oktober angemeldet. Die wohl kurioseste: Die Querdenker wollen endlich ihre Menschenkette in Weiden vollenden. Am 3. Oktober war das schon in Konstanz um den Bodensee geplant, und ist gescheitert. Nun versuchen sie es in Weiden und wollen eine Menschenkette rund um die Altstadt bilden. Das bestätigt die Pressestelle der Stadt Weiden. Dazu hat Helmut Bauer aus Eslarn noch Aufmarsch, Autocorso, Fahrradcorso und Kundgebung am Neuen Festplatz mit den “Stars der Querdenkerszene” angemeldet. Reichsfahnen will er auf seiner Demo nicht verbieten, CSU- und SPD-Plakate schon.

Weiden und die Region entwickeln sich zu einem zentralen Punkt des rechtsextremen Milieus.

Hans Lauterbach, OBTM weiden-Neustadt

Auch die Gegenproteste formieren sich. Ein Bündnis gegen Rechts hat sich in Weiden gegründet, Ende September, just am selben Tag, an dem die Querdenker ihre Demo auf Youtube in Weiden ankündigten. Das “Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte (OBTM) Weiden-Neustadt” plant mehrere Gegendemos am 24. Oktober. Doch das ist nicht das einzige Ziel des Bündnisses. Angelehnt an das OBTM Schwandorf, Amberg, Cham will es gegen Rechts vorgehen und eine offene Gesellschaft fördern, überparteilich und kreativ.

“Höchste Zeit” für Bündnis gegen Rechts

Das ist höchste Zeit, sagt einer der Initiatoren, Hans Lauterbach: “Weiden und die Region entwickeln sich zu einem zentralen Punkt des rechtsextremen Milieus.” Mit zwei AfD-Abgeordneten im Landtag, Patrick Schröder aus Mantel als Aktiver in der Neonaziszene, Helmut Bauer mit seiner Facebook-Gruppe “Der grüne Schrei” und nicht zuletzt der neu formierten esoterisch und verschwörungsideologisch geprägten Gruppe “Friedenshelden”.

Querdenken-Demo soll kein “Superspreader” sein

Verfolge man die Telegram-Chats, gebe es immer wieder die Andockpunkte zum rechten Rand, sagt Lauterbach. Wenn Bauer etwa Helfer für die Demo sucht, rede er von “Querschützen”. Theorien machten in den rechten Chats die Runde, dass die Stadt die Corona-Auflagen erhöhe, um die Querdenken-Demo zu verhindern. Absurde Gedanken, aber sehr typisch für die rechtsideologische und verschwörungstheoretische Szene der Querdenker.

Viele junge Leute wissen nicht, was abgeht. Dass es so viele Rechte bei uns gibt, die in die gesellschaftliche Mitte reinwollen.

Klara werner, Bündnis OBTM Weiden-Neustadt

Doch nun steigen die Coronazahlen in Weiden, gerade sind nur noch 50 Leute auf Demos erlaubt. Helmut Bauer hat bereits in der Querdenken-Telegram-Gruppe angekündigt vor dem Verwaltungsgericht zu klagen, damit er die Demo wie geplant mit 200 Teilnehmern durchführen kann, erzählt Lauterbach von OBTM. “Das ist typisch für den Maximalprovokateur aus Eslarn, der sich für nichts zu schade ist”, sagt Lauterbach über Bauer. Das Bündnis fordert Polizei und Stadt auf, die Coronaauflagen auf der Querdenken-Demo strikt durchzusetzen, dass das Ereignis nicht zu einem “Superspreader” werde.

Junge Leute zu unpolitisch

OBTM Weiden-Neustadt selbst will ihre bereits angemeldeten Gegenproteste auf dem neuen Festplatz und im Park erstmal auf Eis legen, und das Infektionsgeschehen weiter abwarten. Musik, Reden, kreative Aktionen waren geplant. Aber die Veranstalter wollen keine Risiken eingehen, und wenn nötig den Protest ins Netz verlagern. Dafür gibt es auch schon eine Instagram-Seite “@obtm.weiden”.

Der Instagram-Auftritt des neuen Bündnisses. Screenshot: Instagram

Langfristiges Ziel von OBTM Weiden-Neustadt ist auch, jüngere Leute zu mobilisieren. Das klappt vor allem über soziale Medien, ist sich Klara Werner sicher. Bei vielen ihrer Altersgenossen fehle das politische Interesse, sagt sie. “Das ist das bayerische Privileg unpolitisch sein zu können.” Vielen gehe es einfach zu gut, dass sie Probleme wahrnähmen. Doch das könne man ändern, durch Aufklärung. “Viele junge Leute wissen nicht, was abgeht. Dass es so viele Rechte bei uns gibt, die in die gesellschaftliche Mitte reinwollen.” Auch in der Schule gebe es zu wenige Diskussionen zu politischen aktuellen Themen, sagt die ehemalige Keplerschülerin. Und das obwohl viele Einrichtungen stolz das Label  „Schule ohne Rassismus“ tragen.

Mehr als nur Farben: Reichsfahnen bei Querdenken-Demo in Weiden nicht verboten

Die drei Farben der Reichsfahne, schwarz-weiß-rot.
Quelle: Eigene Zeichnung

Reichsflaggen wehen wieder in Berlin, der feuchte Traum eines jeden Neonazis. Am 29. August 2020 wurde er wahr. Die Gruppe Querdenken hatte eine Demo organisiert, bei der Demonstranten auf die Reichstagstreppe stürmten und die Fahnen schwenkten. Auch bei der Querdenken-Demo in Weiden sollen die Flaggen erlaubt sein, obwohl andere Städte und Bundesländer sie bereits verboten haben.

Mit den Bildern vom Reichstag haben die rechtsradikalen Proteste einen Coup gelandet, sagt der Politikwissenschaftler Jens Hacke im Deutschlandfunk. An ihnen wird sich die rechte Szene wohl noch lange berauschen, eingebrannt im kollektiven Gedächtnis. Denn die Reichsflagge hat eine lange Geschichte, die immer wieder auf Nationalismus, Kolonialismus und Faschismus verweist.

Erkennungszeichen der Neonaziszene

Schwarz-weiß-rot sind die Farben des deutschen Kaiserreichs, in der Weimarer Republik wurden sie durch schwarz-rot-gelb ersetzt. In der Nazizeit kam die kaiserliche Farbkombo wieder zurück. Bereits wenige Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Reichflagge wieder offiziell gehisst, neben der Hakenkreuzflagge. Zur Geschichte unter anderem hier.
Seitdem gilt die Reichsflagge als Erkennungszeichen der Neonaziszene – auch weil die Hakenkreuzflagge heute verboten ist, die Reichsflagge nicht. Wenn es nicht verboten ist, wo ist das Problem? Wer sie trägt, sollte wissen, was er tut – und darf sich nicht beschweren, mit Rechtsradikalen gleichgesetzt zu werden, wie Paul Gräber in einem Gastbeitrag des Volksverpetzer betont.

Stadt kann Flaggen verbieten

Immer mehr Bundesländer verbieten die Reichsfahnen nach den Vorkommnissen in Berlin, wie Bremen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. In Bayern hat Söder ein Verbot angekündigt. Auch Städte können unabhängig vom Landesrecht die Flagge bei Veranstaltungen verbieten, so geschehen etwa in Konstanz (Baden-Württemberg). Bei der Demo am 3. Oktober mit dem (gescheiterten) Ziel einer Menschenkette rund um den Bodensee, zu der auch wieder die Weidener Gruppe Friedenshelden mobilisierte, verbot die Stadt “Reichsflaggen, Kaiserreichsflaggen und Zeichen, die einen deutlichen Bezug zur Zeit oder zu den Verbrechen des Nationalsozialismus herstellen und eine Verbindung zu der aktuellen Corona-Pandemie herstellen”.

Die Reichsflagge hat eine lange Geschichte. Wer sie trägt, sollte wissen, was er tut – und darf sich nicht beschweren, mit Rechtsradikalen gleichgesetzt zu werden.

Paul Gäbler in: Der Volksverpetzer

Die Stadt Weiden will diesen Schritt bei der geplanten Querdenken-Demo am 24. Oktober nicht gehen, wie sie auf Anfrage von “Hinterlandrauschen” angab. Auf die Frage ob Weiden Reichsflaggen oder Reichskriegsflaggen bei der Demo verbieten will, antwortete die Pressestelle: “Das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unterliegt den zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltenden strafrechtlichen Bestimmungen.” Auch wenn die Antwort nicht ganz der Frage entsprach, da die Reichsflagge kein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation ist, deutet das stark daraufhin, dass Weiden die Reichsflaggen erlauben wird, wenn sie noch nicht bayernweit verboten ist.

Dass der Veranstalter selbst diese Flaggen verbietet, ist ausgeschlossen. “Ich werde niemanden verbieten, eine deutsche Fahne zu schwenken, die gesetzlich nicht verboten ist”, sagt Helmut Bauer auf Onetz, als er auf die Reichsfahne angesprochen wird. Das Symbol der Rechtsradikalen will er also erlauben. SPD- oder CSU-Plakate dulde er jedoch nicht, betont er weiter auf Onetz.

Symbole stiften Identität

Die Szene um die Coronarebellen scheint eine ausgeprägte Empathie für Flaggen zu haben, wie eine Bildergalerie des RBB zeigt. Auf den Demos in Berlin wedelten die Teilnehmer auch noch mit historische Flaggen des Königreichs Preußen oder Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, Länderflaggen von USA und Russland oder auch Regenbogenflaggen der LGBTQ-Bewegung.

Flaggen sind symbolmächtige Objekte, sie stiften Identität – und das ist das, was viele der Unzufriedenen, der Wutbürger von heute am meisten benötigen. In der postmodernen Gesellschaft sind wir aus dem Korsett von vorgegebenen Rollen, Normen und Lebensentwürfen befreit. Kein Gott, kein König befiehlt mehr, was zu tun ist. Doch wenn die Sicherheitskoordinaten fehlen, wenn niemand vorgibt, was zu denken und zu tun ist, dann machen sich neue Unsicherheiten breit. Zur Freiheit verdammt sind wir.

Die verdammte Freiheit

Der postmoderne Mensch kann ertragen, dass es kein eindeutiges Gut/Böse oder Richtig/Falsch gibt, den “Eindeutigskeitszwang” überwinden und sich in immer neue Unsicherheiten reinbegeben.
Doch die verdammte Freiheit überfordert viele. Mit den Reichsfahnen leben auch alte Werte, alte Feindbilder wieder auf. Dank ihnen kann der Mensch ganz einfach wieder Eigenes und Fremdes unterschieden: Das patriotische, vaterländische “Wir”, das das Fremde, Nichtdeutsche ausgrenzt.

Diejenigen, die die Reichsfahne schwenken, tragen ein Symbol der rechtsradikalen Szene vor sich her. Und diejenigen, die auf diesen Demos mitlaufen, unterstützen sie dabei.

“Stars” der Querdenker kommen nach Weiden: Stadt wird zum Hotspot der neuen Rechten

“Suuper. Die Weidener freuen sich total”, weiß eine Frau namens Martina. Sie sitzt gerade mit Michael Ballweg im Auto und kündigt in einem Youtube-Video eine “Große Querdenken Demo” in Weiden an. Die Stadt bestätigt die Anmeldung der Demo mit 200 Teilnehmern. Der Querdenken-Initiator will kommen, genauso wie andere führenden Köpfe der Bewegung.

“Querdenken”-Gründer Michael Ballweg sichert in dem Video zu, am 24. Oktober nach Weiden zu kommen. Screenshot: Youtube

Michael Ballweg ist Gründer der Stuttgarter Initiative “Querdenken 711”, die die großen Demos in Berlin am 1. und 29. August veranstaltet hat. Auf diesen Demos tummeln sich Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme. Dass Ballweg sich zuletzt von diesen Gruppen öffentlich distanziert hat, ist unglaubwürdig.

Querdenken arbeitet mit rechtsextremen zusammen

“Michael Ballweg und andere Leute verdienen ihr Geld damit, […] die arbeiten mit Rechtsextremen zusammen. Sie laufen nicht zufällig mit den Rechtsextremen daher, sondern das ist eine Querfront mit einem Feindbild: Das sind die Juden, Frauen und Demokraten”, sagt der Antisemitismusbeauftragter Baden-Württembergs, Michael Blume, zuletzt im Interview mit dem SWR.

Stadt bestätigt: Aufmarsch, Autocorso, Kundgebung auf neuem Festplatz

Dieser Michael Ballweg nun also kommt nach Weiden, zur “Großen Querdenken Demo” am 24. Oktober. Das verkündet eine frohlockende “Martina” in einem am 27. September veröffentlichten Youtube-Video. Bewahrheitet sich das, wird Weiden an diesem Tag zum Zentrum dieser neuen rechten Bewegung. Auf Anfrage von “Hinterlandrauschen” bestätigt die Stadt Weiden, dass die Demo für 24. Oktober bereits angemeldet wurde, samt Aufmarsch, Autocorso und Kundgebung auf dem Neuen Festplatz in Weiden. Angemeldet sind 200 Teilnehmer.

Die Frau namens Martina ist ein bekanntes Gesicht bei den vergangenen von Stadträtin Sonja Schuhmacher organisierten sogenannten “Grundrechte-Demos” in Weiden: Sie trat mehrmals als Ordnerin und Moderatorin auf.

Weiden als endpunkt einer ganzen Oberpfalz-Tour

Die Demo in Weiden soll sogar der Endpunkt einer ganzen “Oberpfalz Demonstrationstour” sein, mit Stationen in Beilngries und Neumarkt. Das kündigt Martina in einem anderen Youtube-Video an.

Der pensionierte Polizist Karl Hilz (rechts) sagt zu, zur Demo in Weiden zu kommen. Sie soll Endpunkt einer ganzen Oberpfalz-Tour sein. Quelle: Youtube

Dort steht sie mit einem anderen “Star” der Bewegung, der auch nach Weiden kommt: Der pensionierte Hauptkommissar der Polizei München Karl Hilz (rechts im Bild). Er sprach auf der extrem rechten verschwörungstheoretischen Kundgebung in Berlin am 29. August, meldete die Münchener Abendzeitung. Das Innenministerium prüfe die Auftritte.

Zu Martinas Rechter steht Willi Fanderl (links im Bild) aus Beilngries, der sich jedoch im Video als gebürtiger Oberpfälzer bezeichnet, der nach Informationen des Donau-Kuriers in Beilngries Corona-Proteste organisiert. Dort nennt sich die Gruppe nicht “Friedenshelden”, wie in Weiden, sondern “Weisshemden”.

Auch der Ulmer Anwalt Markus Haintz hat angekündigt, nach Weiden zu kommen,ein bekannter Vertreter der “Querdenken”-Gruppe. Er hatte bei der Berlin-Demo am 1. August zur Befehlsverweigerung aufgerufen und wurde kurzzeitig festgenommen, meldet die Südwest Presse.

Proteste gegen die angekündigte Veranstaltung sind noch keine bekannt.

so laufen die Proteste gegen den “AFD Bürgerdialog” in Würzburg, Regensburg, Weiden

Beim “Bürgerdialog Corona” lobt die AfD den sehr guten Empfang in Weiden. In Regensburg wurde dieselbe Veranstaltung abgesagt. “Der Wirt wurde von der Öffentlichkeit bedroht”, erklärt die AfD. Die “Initiative gegen Rechts” Regensburg stellt das ganz anders dar.

Protest gegen “AfD Bürgerdialog” in Weiden/Oberpfalz.

70 Leute waren es laut Polizeiangaben, die in Weiden/Oberpfalz gegen den “Bürgerdialog: Aktuelle Lage Corona” demonstrierten. Neben Rio-Raum, Solid, Jusos, Grünen, SPD, Linke und Amnesty kam auch das “Bündnis Cham gegen Rechts”. Der Sprecher warnte davor, gegen Rechts zu wenig mobil machen, mit dem Argument, “denen nicht genug Aufmerksamkeit zu schenken”. Im Landkreis Cham habe man lange weggeschaut. Die rechtsextremistische Organisation “Der III. Weg” hat dort einen ihrer Aktionsschwerpunkte.

Während die Demonstranten die Bürgerdialog-Besucher auspfeifen, strömen diese unbeirrt sich die Max-Reger-Halle. Einige brillieren mit Masken mit AfD-Logo, andere desinfizieren sich sogar vorher die Hände. 45 Zuhörer etwa finden sich in der Halle ein.

AfD-Bürgerdialog in der Max-Reger-Halle in Weiden/Oberpfalz.

AfD-Bundstagsabgeordneter Tobias Peterka mit Wahlkreis Bayreuth lobt zu Beginn überschwänglich die sehr gute Zusammenarbeit mit der Stadt und den Betreibern der Stadthalle. In Weiden sei man sehr gut empfangen worden.

Gegendemo in Würzburg direkt vor der Tür

Nicht so ideal lief das in anderen Städten. Denn mit dem Bürgerdialog Corona tourt die Partei gerade durch ganz Bayern. In Würzburg etwa kamen nur etwa 20 Zuschauer zum Bürgerdialog. Denen entgegen stellten sich auch dort etwa 70 Gegendemonstranten. Die durften ihre Kundgebung jedoch genau vor der Tür abhalten, wie Peterka erläutert. “Stellen Sie sich das vor, 1 Meter vor dem Eingang, aggressiv schreiende Demonstranten. Linksextremisten”, erzählt er. Tatsächlich fand die Gegenkundgebung in Würzburg direkt vor dem Veranstaltungsgebäude statt, wie ein Bericht von TV Main-Franken zeigt.

In Würzburg stehen die Gegendemonstranten direkt vor der Halle, in der der Bürgerdialog stattfindet. In Weiden wurden sie auf die andere Straßenseite, weit entfernt vom Eingang verwiesen. Screenshot: https://www.tvmainfranken.de/mediathek/video/friedlicher-verlauf-antifa-demonstriert-gegen-buergerdialog-der-afd-in-wuerzburg/

Auch in Weiden beantragten die Veranstalter, die Gegenkundgebung etwa 20 Meter vor dem Eingang stattfinden zu lassen. Mit dem Argument, dass die Polizei etwa 100 Gegendemonstranten erwarten, mussten sie auf den Parkplatz des Neuen Rathauses auf der anderen Straßenseite ausweichen, erklärt die Anmelderin. Die Maßnahme war wirkungsvoll, jedenfalls um den Gegenprotest weniger sichtbar zu machen. “Ich habe die Gegendemo gar nicht gesehen”, lobt Peterka.

Bürgerdialog in REgensburg abgesagt

Auch in Regensburg wurde die AfD nicht so gut empfangen wie in Weiden. Auf Facebook ist die geplante Veranstaltung am 5. September noch veröffentlicht, Status: abgesagt.

Im Alten Schlachthof sollte die Veranstaltung stattfinden. “Der Wirt wurde von der Öffentlichkeit bedroht. Seine Familie wurde bedroht”, nennt Peterka die Gründe.

Eine Nachfrage bei der “Initiative gegen Rechts” aus Regensburg stellt die Situation auf Presseanfrage ganz anders dar: Als die Initiative von der geplanten Veranstaltung erfuhr, hätten sie die Wirt_in angeschrieben, ob diese Kenntnis von der Veranstaltung haben. “Hintergrund ist, dass die AfD in Regensburg sich in der Vergangenheit immer wieder unter falschem Namen bzw. als Privatpersonen in Räumlichkeiten einmieteten und den politischen Charakter verschleierten”, erklärt die “Initiative gegen Rechts”. Die Betreiber des Alten Schlachthofes hätten sich für den Hinweis bedankt und betont, dass die Veranstaltung bei Ihnen nicht stattfinden werde.

Peterka behauptet, der Betreiber sei bedroht und so zur Absage gezwungen worden. Die “Initiative gegen Rechts” sagt, der Wirt habe die Veranstaltung selbst abgesagt.

Die Betreiber der Max-Reger-Halle konnten die Veranstaltung nicht absagen, selbst wenn sie wollten. Denn obwohl die Halle in eine GmbH ausgegliedert wurde, ist sie offenbar immer noch städtisch. Und eine Stadt darf aufgrund des Diskriminierungsgrundsatzes keine einzelne Partei ausschließen.

Gegendemo in Weiden/Oberpfalz.
Gegendemo in Weiden/Oberpfalz.

Für den freien Nippel: Weidener Initiative will Bilder von Brustwarzen

Ruth aus Weiden sucht mit der Initiative “Adhibet” nach Nippelbildern.

Eine Frau und ein Mann liegen im Park, beide Oben ohne. Der Mann wirkt ganz normal, die Frau je nach Sichtweise geil, obszön, anrüchig? Obwohl doch beide doch nur ihr Nippel zeigen. Die Weidener Initiative „Adhibet“ will mit einer Kunstaktion diese Ungleichheit diskutieren. Sie ruft dazu auf: Schickt uns eure Nippel. Die Weidener Schülerin Ruth erklärt, was „Adhibet“ damit erreichen will.

„Hier könnte dein Nippel stehen“, heißt es auf dem „Adhibet“-Projekt auf Instagram. Adhibet heißt Brustwarze auf Latein. Die Initiative bewirbt das Projekt mit einem Radieschen, das wie ein Nippel aussieht, und einer männlichen Brustwarze. Eine weibliche können sie nicht posten, die würde von der Plattform sofort gelöscht werden. Das ist Teil des Problems, erklärt Ruth.

Was ist das Problem bei den Nippeln?

Ruth: Männliche und weibliche Nippel werden vollkommen unterschiedlich gesehen. Wenn ich oberkörperfrei rumlaufe, werde ich komisch angeschaut. Bei Männern ist das vollkommen okay. Auch in den sozialen Netzwerken gibt es große Unterschiede. Bei Instagram und Facebook werden weiblich gesehene Nippel sofort gelöscht, männlich gesehene nicht.

Warum ist das so?

Ruth: Ich denke, das liegt daran, dass die weibliche Brust viel stärker sexualisiert und dadurch auch tabuisiert wird.

Die Freiheit, seinen Körper so zu zeigen, wie er ist, ohne ihn verdecken zu müssen, ist was sehr besonderes.

Ruth

Aber für dich gibt es da doch auch Unterschiede?

Ruth: Für mich gibt es es auf jeden Fall Unterschiede, aber dieses Empfinden sollte nicht da sein.

Es gibt ja auch Initiativen, die Männer dazu aufrufen, sich nicht oberkörperfrei zu zeigen, um sich zu solidarisieren. Wie findest du das?

Ruth: Jeder Mensch, der oberkörperfrei rumlaufen will, sollte das tun können und deshalb nicht diskriminiert werden.

Wie kann das Projekt bei der Lösung dieses Problems helfen?

Ruth: Wir wollen Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Wenn man die Fotos von männlichen und weiblichen Nippeln ausschneidet, erkennt man keine Unterschiede. Wir machen eine Collage aus den Fotos und stellen sie aus. Bei Kunst geht es ja auch oft darum, tabuisierte Dinge aufzugreifen und zur Diskussion zu stellen. Letztendlich wollen wir zeigen, dass es keine Unterschiede gibt.

Wo bekommt ihr eure Nippel her?

Ruth: Wir sprechen die Leute direkt an. Wir haben auch eine Instagram-Seite „adhibet.proejkt“, auf die Leute ihre Fotos schicken können. Wer nicht will, dass der Nippel zuordenbar ist, kann die Bilder auch von einer Wegwerfemailadresse an unsere Email adhibet@web.de senden. Selbstverständlich werden alle Fotos anonymisiert.

Im Weidener Rio-Raum, dem Sitz des Vereins für junge Kunst und Kultur.

Wie reagieren die Leute, wenn ihr sie nach Nippelbildern fragt?

Ruth: Besonders negative Reaktionen haben wir noch nicht bekommen. Viele sind erschrocken und trauen sich nicht so ganz. Aber es gab auch positive Reaktionen, wo welche sagten: „Hier mach direkt ein Bild.“

Auch von Frauen?

Ruth: Ja.

Beneidest du Männer dafür, dass sie ohne Probleme obenrum frei rumlaufen können?

Ruth: Schon ein bisschen, vor allem wenn es warm draußen ist. Die Freiheit, seinen Körper so zu zeigen, wie er ist, ohne ihn verdecken zu müssen, ist was sehr besonderes.

Von wem geht die ganze Initiative eigentlich aus?

Ruth: Ich behaupte jetzt einfach mal, das ist ein Projekt des Vereins für junge Kunst und Kultur, weil wir alle, die mitmachen, dort Mitglied sind.

Wie passt das Thema zu dem Verein?

Ruth: Einerseits ist es ein Kunstverein. Andererseits ist es auch ein Verein, der sich mit der Freiheit jedes einzelnen auseinandersetzt. Da geht es natürlich auch um Themen wie Feminismus und Rassismus.

Werbung macht “Adhibet” auch auf Bierdeckeln, demnächst vielleicht auch in eurer Kneipe.

Hintergrund:

Auf vielen sozialen Plattformen werden männliche und weibliche Nippel tatsächlich vollkommen unterschiedlich behandelt. In seinen Gemeinschaftsrichtlinien verbietet Instagram explizit Brustwarzen von Frauen, neben etwa Geschlechtsverkehr, Genitalien und Nahaufnahmen nackter Gesäße. Auch Facebook untersagt in seinen Richtlinien unter dem Punkt „Nacktheit und sexuelle Handlungen von Erwachsenen“ die „Darstellung weiblicher Brüste ein, wenn die Brustwarzen zu sehen sind“. Ausnahmen sind etwa Brustfotos von stillenden Müttern, nach Amputationen oder bei Protestformen. Männliche Nippel sind also uneingeschränkt erlaubt.

Das zeigt, dass auch die Social-Media-Plattformen weibliche Nippel sexualisierter einschätzen als männliche und gar mit der Darstellung von Genitalien gleichsetzen. Und das obwohl die Nippel bei beiden Geschlechtern anatomisch gleich gebaut sind. Die deutschen Gesetze verbieten explizit weder Männern noch Frauen, obenrum blank zu ziehen. In Parks oder Schwimmbädern kommt das Hausrecht hinzu. Dort werden weibliche Nippel von Sicherheitsdiensten, Polizei und Ordnungsämtern weitgehend verboten.

Verschiedene Initiativen machen seit Jahren auf diese Ungleichheit aufmerksam, doch mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Aktionen wie „No-Shirt-No-Service“ auf Festivals und Parties rufen Männer dazu auf, sich nicht oberkörperfrei zu zeigen und so mit den Frauen zu solidarisieren. Kampagnen wie „Free the nipple“ dagegen wollen verstärkt Frauen ermächtigen, sich im Sinne der „Body Positivity“ Oben ohne zu zeigen. Am Ende ist es wohl ein Zusammenspiel beider Ansätze, bzw. Bewusstsein auf Seite der Privilegierten als auch Nicht-Privilegierten, das den Unterschied macht, bzw. in diesem Fall den Unterschied zunichte macht.

Hass auf Journalisten nimmt zu: Was Weiden/Oberpalz besser machen kann

Wer keine Berichterstattung will, hält einfach die Kamera zu. Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit in Weiden. Screenshot: Youtube

Der Hass nimmt zu. Im Netz, auf den Demos, in der Gesellschaft. Ziel sind immer wieder Journalisten, zeigt eine Studie. Auch ich wurde als Journalistin in Weiden/Oberpfalz auf einer Demo attackiert. Überregionale Medien und internationale NGOs berichten darüber. Doch die lokale Politik, Polizei und Presse ist still. Das geht besser.

Es ist komisch, immer wieder über sich selbst zu berichten. Doch es geht nicht um mich, sondern um die Pressefreiheit in Weiden/Oberpfalz. Am 12. Juli wurde ich als Journalistin auf einer Demo gegen Corona-Maßnahmen von Teilnehmern attackiert. Die Polizisten vor Ort konnten mich nicht schützen, hat mich dazu noch kritisiert. Das Video zeugt davon.

Eine neue Studie der Universität Bielefeld zeigt, dass Hass und Angriffe auf Journalisten immer weiter zunehmen. Rund 60 Prozent der Befragten haben Erfahrungen damit gemacht, das reicht von Hasskommentaren in den Sozialen Medien bis zu Morddrohungen.

Bei einem Pressegespräch in München wird klar, wie massiv der Hass im Netz ist. Anna-Lena von Hodenberg ist Geschäftsführerin von Hate-Aid, die Betroffenen von Gewalt im Netz hilft. Sie erzählt von Journalistinnen, die einen Link zu einem Hardcore-Porno-Video bekommen. Auf einer der Darstellerinnen ist ihr Kopf draufmontiert. Betroffene bekommen Bilder von ihren Haustüren zugesendet, von ihren Kindern. Die Angriffe dringen ganz tief in die Intimsphäre vor. Journalistinnen seien häufiger betroffen, vor allem von sexualisierter Gewalt. “Ich habe noch nie gesehen, dass ein heterosexueller weißer Mann Vergewaltigungsandrohungen bekommt”, sagt von Hodenberg. Massiv stiegen die Beleidigungen, wenn es sich um lesbische oder migrantische Frauen handeln.

Der Hass wird immer mehr, auch das hat das Pressegespräch gezeigt. Die Studie zu Gewalt gegen Journalist*innen ist von 2019. Doch die Vorfälle bei den Hygienedemos in Berlin und anderswo zeigen schon, dass Angriffe immer mehr werden. “Es ist eine neue Dimension, die da anrollt”, sagt Professor Andreas Zickl, Leiter des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung. “Es ist die zweite Welle”, sagt Anna-Lena von Hodenberg. Die erste Welle von Hass entstand 2015 während der Flüchtlingskrise. Hate Speech gehöre “zur Strategie des organisierten Rechtsextremismus”, macht Anna-Lena von Hodenberg klar. Und auch die Bielefelder Studie zeigt, dass die Angriffe auf Journalisten von rechts kommen.

Diejenigen, die über Fragen der Migration, Integration und den Hass in der Gesellschaft berichten, werden zum Feindbild auch derer, die diesen Hass schüren und diese Themen selbst zu besetzen versuchen. Dabei handelt es sich laut den Ergebnissen der Studie insbesondere um rechtspopulistische und extrem rechte Personen und Gruppierungen.

Aus der Studie “Hass und Angriff auf Medienschaffende” 2019

Eine Folge dieser Angriffe ist der sogenannte “Silencing Effekt”. Journalisten ziehen sich von bestimmten Themen zurück, denken genauer nach, wie sie etwas schreiben, weil sie Angst vor mehr Angriffen haben. Selbstzensur setzt ein, die berühmte Schere im Kopf. Damit haben die Angreifer ihr Ziel erreicht. Das Ende der Pressefreiheit. Das soll mit “Hinterlandrauschen” nicht passieren.

Hier ein BR-Bericht des Pressegesprächs, bei dem ich auch von dem Vorfall in Weiden berichte.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass eine Gesellschaft sich gegen solche Angriffe wehrt. Doch wie? Was in Weiden/Oberpfalz getan werden kann, ist ziemlich klar.

Polizei reagiert falsch

Das Verhalten der Polizei Weiden zeigt, dass sie keine Ahnung von Presse- und Versammlungsrecht haben. Wie ich bereits in einem früheren Post ausgeführt habe, hat mir ein Beamter vor den Demonstranten vorgeworfen, ich würde provozieren und mache keine Pressearbeit. Das geschah ein paar Minuten, nachdem ich geschubst und gegen mich skandiert wurde. Als Veranstalterin Sonja Schuhmacher mir im öffentlichen Raum einen Platzverweis gegeben hat, sagte ein Beamter, ich solle mich entfernen und begründete das mit “Hausrecht”.

Das Schlimme jedoch ist, dass die Polizei Weiden bis jetzt nicht darauf reagiert hat. Auf meine vor mehr als einem Monat gestellte Dienstaufsichtsbeschwerde gab es noch keine Reaktion. Als der Deutschlandfunk nachfragte, wurde ihm eine Antwort verweigert. Der Weidener Runde Tisch für Neues Engagement fordert seit zwei Monaten ein klärendes Gespräch mit Polizei und Verwaltung. Auch darauf hat die Polizei noch nicht reagiert.

Auch in der Bielefelder Studie fordern Journalisten zuallererst mehr Unterstützung durch Polizei und Strafverfolgung, um besser vor Angriffen geschützt zu werden.

Ein Video des Jüdischen Forums etwa zeigt, wie sich Polizisten richtig verhalten. Sie drohen den Teilnehmern, sie von der Veranstaltung entfernen, wenn sie Journalisten angehen. Nicht wie in Weiden, wo ich als Journalistin aufgefordert werde zu gehen, wenn ich angegriffen werde.

Keine Reaktion der Politik

Die Veranstalterin der Demo hat mir am 12. Juli 2020 verboten, Fotos und Videoaufnahmen anzufertigen. Mehrmals erklärt sie öffentlich, dass das mit Polizei und Verwaltung abgesprochen gewesen sei, wie hier in einem Facebook-Post.

Screenshot aus Facebook.

Das Besorgniserregende: Sonja Schuhmacher ist gleichzeitig Stadträtin in Weiden. Die Pressestelle von Weiden hat gegenüber dem Magazin “Drehscheibe” dementiert, dass es eine Absprache mit dem Ordnungsamt gab. Das ist aber auch die einzige Reaktion, die es bis jetzt von der Stadt gab. Auf die Aufforderung zu einem Gespräch hat die Verwaltung nicht reagiert. Auch über das Dementi hinaus gab es keine öffentliche Stellungnahme. Laut der Bielefelder Studie wünschen sich befragte Journalisten mehr mehr öffentliche Solidarität und Unterstützung von politischer Seite aus, damit die Freiheit und Unabhängigkeit journalistischer Arbeit in Deutschland gewahrt werden kann. Auch im Falle von Weiden kann tatsächlich helfen, wenn die Politik mehr positive Signale gibt und betont, wie wichtig Pressefreiheit ist.

regionale presse ist still

Nicht nur die Polizei und die Stadt Weiden sind still. Auch die regionale Presse hat kaum auf die Vorfälle reagiert. Auch das habe ich in einem extra Post bereits ausgeführt. Das ist enttäuschend, denn als freie Journalistin ist die Rückendeckung durch Kollegen besonders wichtig. Auch die Bielefelder Studie betont, dass freie Medienschaffende ohne redaktionelle Anbindung mehr Rückhalt brauchen.

Zivilgesellschaft hilft

Als Reaktion auf die Angriffe formte sich ein gesellschaftliches Bündnis aus verschiedenen Parteien und Organisationen, die eine Demo auf die Beine stellten.

Flyer der Veranstaltung.

Sie ersetzten das Schweigen der Politik und der Verwaltung in der Stadt. Es tut gut, dass die Zivilgesellschaft wenigstens noch nicht versagt hat. Um eine Antwort auf die nächsten Wellen an Hass zu finden, braucht es jedoch auch Reaktionen von Politik, Staat und Medien.

Kunstaktion: Weidener Mohrenstraße umbenannt (mit Video)

Die Kunstaktion von Carolin Schiml, Wolfgang Herzer und Veit Wagner (v.r) in der Weidener Innenstadt direkt neben dem neugebauten NOC-Einfkaufszentrum.

Aktivist*innen haben in einer Kunstaktion die Mohrenstraße in der Innenstadt von Weiden/Oberpfalz zur “Möhrenstraße” umgetauft. Die Stadt Berlin geht noch weiter.

“Wir unterstellen der Stadt Weiden keinesfalls Rassismus”, betont Wolfgang Herzer. “Sie hat bei dem Schild einfach nur die beiden Punkte vergessen. Das wollten wir nachholen.” Am 3. September 2020, schnappten sich Herzer, Carolin Schiml und Veit Wagner Leiter und Tape und fügten dem Straßenschild auf beiden Seiten Punkte hinzu. Fertig ist die Möhrenstraße.

Mit der Aktion wollen sie zum Denken anregen, sagen sie. Ziele verfolgen sie unterschiedliche. Carolin Schiml plädiert dafür, dass die Stadt die Straße auch offiziell umbenennt. Die Fleischgasse in der Weidener Innenstadt könne man in Tofugasse umbenennen, schlägt sie weiterhin vor. Der ehemalige grüne Stadtrat Veit Wagner sieht die Umbenennung nicht als notwendig an. Er stellt auch in Frage, ob der Ausdruck “Zigeunerschnitzel” rassistisch ist.

Berlin: straßenName ist rassistisch

Auch in der Hauptstadt gibt es eine Mohrenstraße. Für die Grünen im Bezirk Berlin-Mitte ist eindeutig, dass der Ausdruck rassistisch ist. Während der Name in Weiden bislang unbeachtet blieb, kämpfen in der Hauptstadt seit 15 Jahren Anti-Rassismus-Initiativen für eine Umbenennung. Auch dort wurde sie inoffiziell immer wieder zur Möhrenstraße.

Doch die aktuellen Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung haben bewirkt, dass die Stimmen der von Rassismus Betroffenen lauter werden. Mit Stimmen von SPD, Grünen und Linke hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin-Mitte entschieden, die umstrittene Straße “unverzüglich” umzubenennen.

Die Begründung:

Der Name ist rassistisch und kolonialistisch belastet. Er diskriminiert einen Teil der Bevölkerung Berlins und schadet dem nationalen und internationalen Ansehen der Stadt.

aus dem BEschlussantrag von Grünen und SPD zur Umbenennung der Berliner Mohrenstraße

Künftig heißt die Berliner Straße “Anton-Wilhelm-Amo-Straße”, benannt nach dem ersten deutschen Gelehrten afrikanischer Herkunft an einer preußischen Universität. Das “Philosophie-Magazin” bezeichnet ihn als den afrikanischen Philosophen der Aufklärung.

Stadtrat: Nsdap-Mitglied war “Mitläufer”

Vor zwei Jahren gab es auch eine Diskussion um vorbelastete Namen in Weiden. Die städtische Musikschule “Franz-Grothe-Schule” ist benannt nach einem Komponisten mit einschlägiger Nazi-Vergangenheit. Der Stadtrat entschied sich 2018 gegen eine Umbenennung, ist in einem Bericht von Oberpfalzmedien zu lesen. Das NSDAP-Mitglied Grothe sei nur ein “Mitläufer” gewesen, urteilten die Stadträte. Allerdings nahmen sie sich vor, bei der Vergabe von Straßennamen künftig verstärkt Widerstandskämpfer und Friedensstifter zu berücksichtigen.