Ruth aus Weiden sucht mit der Initiative “Adhibet” nach Nippelbildern.

Eine Frau und ein Mann liegen im Park, beide Oben ohne. Der Mann wirkt ganz normal, die Frau je nach Sichtweise geil, obszön, anrüchig? Obwohl doch beide doch nur ihr Nippel zeigen. Die Weidener Initiative „Adhibet“ will mit einer Kunstaktion diese Ungleichheit diskutieren. Sie ruft dazu auf: Schickt uns eure Nippel. Die Weidener Schülerin Ruth erklärt, was „Adhibet“ damit erreichen will.

„Hier könnte dein Nippel stehen“, heißt es auf dem „Adhibet“-Projekt auf Instagram. Adhibet heißt Brustwarze auf Latein. Die Initiative bewirbt das Projekt mit einem Radieschen, das wie ein Nippel aussieht, und einer männlichen Brustwarze. Eine weibliche können sie nicht posten, die würde von der Plattform sofort gelöscht werden. Das ist Teil des Problems, erklärt Ruth.

Was ist das Problem bei den Nippeln?

Ruth: Männliche und weibliche Nippel werden vollkommen unterschiedlich gesehen. Wenn ich oberkörperfrei rumlaufe, werde ich komisch angeschaut. Bei Männern ist das vollkommen okay. Auch in den sozialen Netzwerken gibt es große Unterschiede. Bei Instagram und Facebook werden weiblich gesehene Nippel sofort gelöscht, männlich gesehene nicht.

Warum ist das so?

Ruth: Ich denke, das liegt daran, dass die weibliche Brust viel stärker sexualisiert und dadurch auch tabuisiert wird.

Die Freiheit, seinen Körper so zu zeigen, wie er ist, ohne ihn verdecken zu müssen, ist was sehr besonderes.

Ruth

Aber für dich gibt es da doch auch Unterschiede?

Ruth: Für mich gibt es es auf jeden Fall Unterschiede, aber dieses Empfinden sollte nicht da sein.

Es gibt ja auch Initiativen, die Männer dazu aufrufen, sich nicht oberkörperfrei zu zeigen, um sich zu solidarisieren. Wie findest du das?

Ruth: Jeder Mensch, der oberkörperfrei rumlaufen will, sollte das tun können und deshalb nicht diskriminiert werden.

Wie kann das Projekt bei der Lösung dieses Problems helfen?

Ruth: Wir wollen Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Wenn man die Fotos von männlichen und weiblichen Nippeln ausschneidet, erkennt man keine Unterschiede. Wir machen eine Collage aus den Fotos und stellen sie aus. Bei Kunst geht es ja auch oft darum, tabuisierte Dinge aufzugreifen und zur Diskussion zu stellen. Letztendlich wollen wir zeigen, dass es keine Unterschiede gibt.

Wo bekommt ihr eure Nippel her?

Ruth: Wir sprechen die Leute direkt an. Wir haben auch eine Instagram-Seite „adhibet.proejkt“, auf die Leute ihre Fotos schicken können. Wer nicht will, dass der Nippel zuordenbar ist, kann die Bilder auch von einer Wegwerfemailadresse an unsere Email adhibet@web.de senden. Selbstverständlich werden alle Fotos anonymisiert.

Im Weidener Rio-Raum, dem Sitz des Vereins für junge Kunst und Kultur.

Wie reagieren die Leute, wenn ihr sie nach Nippelbildern fragt?

Ruth: Besonders negative Reaktionen haben wir noch nicht bekommen. Viele sind erschrocken und trauen sich nicht so ganz. Aber es gab auch positive Reaktionen, wo welche sagten: „Hier mach direkt ein Bild.“

Auch von Frauen?

Ruth: Ja.

Beneidest du Männer dafür, dass sie ohne Probleme obenrum frei rumlaufen können?

Ruth: Schon ein bisschen, vor allem wenn es warm draußen ist. Die Freiheit, seinen Körper so zu zeigen, wie er ist, ohne ihn verdecken zu müssen, ist was sehr besonderes.

Von wem geht die ganze Initiative eigentlich aus?

Ruth: Ich behaupte jetzt einfach mal, das ist ein Projekt des Vereins für junge Kunst und Kultur, weil wir alle, die mitmachen, dort Mitglied sind.

Wie passt das Thema zu dem Verein?

Ruth: Einerseits ist es ein Kunstverein. Andererseits ist es auch ein Verein, der sich mit der Freiheit jedes einzelnen auseinandersetzt. Da geht es natürlich auch um Themen wie Feminismus und Rassismus.

Werbung macht “Adhibet” auch auf Bierdeckeln, demnächst vielleicht auch in eurer Kneipe.

Hintergrund:

Auf vielen sozialen Plattformen werden männliche und weibliche Nippel tatsächlich vollkommen unterschiedlich behandelt. In seinen Gemeinschaftsrichtlinien verbietet Instagram explizit Brustwarzen von Frauen, neben etwa Geschlechtsverkehr, Genitalien und Nahaufnahmen nackter Gesäße. Auch Facebook untersagt in seinen Richtlinien unter dem Punkt „Nacktheit und sexuelle Handlungen von Erwachsenen“ die „Darstellung weiblicher Brüste ein, wenn die Brustwarzen zu sehen sind“. Ausnahmen sind etwa Brustfotos von stillenden Müttern, nach Amputationen oder bei Protestformen. Männliche Nippel sind also uneingeschränkt erlaubt.

Das zeigt, dass auch die Social-Media-Plattformen weibliche Nippel sexualisierter einschätzen als männliche und gar mit der Darstellung von Genitalien gleichsetzen. Und das obwohl die Nippel bei beiden Geschlechtern anatomisch gleich gebaut sind. Die deutschen Gesetze verbieten explizit weder Männern noch Frauen, obenrum blank zu ziehen. In Parks oder Schwimmbädern kommt das Hausrecht hinzu. Dort werden weibliche Nippel von Sicherheitsdiensten, Polizei und Ordnungsämtern weitgehend verboten.

Verschiedene Initiativen machen seit Jahren auf diese Ungleichheit aufmerksam, doch mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Aktionen wie „No-Shirt-No-Service“ auf Festivals und Parties rufen Männer dazu auf, sich nicht oberkörperfrei zu zeigen und so mit den Frauen zu solidarisieren. Kampagnen wie „Free the nipple“ dagegen wollen verstärkt Frauen ermächtigen, sich im Sinne der „Body Positivity“ Oben ohne zu zeigen. Am Ende ist es wohl ein Zusammenspiel beider Ansätze, bzw. Bewusstsein auf Seite der Privilegierten als auch Nicht-Privilegierten, das den Unterschied macht, bzw. in diesem Fall den Unterschied zunichte macht.